Statistiken haben für viele den Nimbus der Exaktheit und Neutralität. Glaubt man der Statistik, die die Senatorin für Kinder und Bildung zuletzt im Juli 2023 vorgelegt hat, sind an Grundschulen nur 0,7% aller Stunden tatsächlich ausgefallen. Doch diese Zahl ist nicht so exakt und objektiv, wie sie wirkt. Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Dabei fällt insbesondere in diesem Bericht auf, dass die Wahrnehmung zur Häufigkeit von Stundenausfall auf Seiten der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Eltern deutlich von den offiziellen Zahlen abweicht. Diese Kluft zwischen Elternwahrnehmung und behördlicher Statistik ist aber nicht neu. Begründet ist dies mit einigen Eigenheiten der Statistik. So werden insbesondere nur Stunden berechnet, die wirklich an der Grundschule ausgefallen sind und nicht vertreten wurden. Darüber hinaus wird die Mitbetreuung einer weiteren Grundschulklasse durch Lehrkräfte, Erzieher und Erzieherinnen sowie Betreuungskräfte aus dem Nachbarraum nicht als Ausfall gezählt.

In Hinblick auf die zu verbessernde Bildungsqualität im Land Bremen erscheint der aufgezeigte Widerspruch eklatant. Langfristig wird das Bildungsangebot für die Schülerinnen und Schüler leiden, wenn sich Stunden in einzelnen Jahrgängen häufen, die nur durch die Lehrkraft im Nachbarraum beaufsichtigt werden. Das gleiche gilt natürlich auch, wenn Fächer über einen längeren Zeitraum nur fachfremd unterrichtet bzw. vertreten werden. In diesem Zusammenhang kann eine sinnvolle Abhilfe aber nur geschaffen werden, wenn tatsächlich ein realistisches Bild der Verlässlichkeit des Unterrichtsgeschehens an einzelnen Standorten bis hin zu einzelnen Klassen dargestellt wird.

Im Jahre 1997 erfolgte die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung für Grundschullehrer auf 28 Stunden. Dies erfolgte obwohl Individualisierung, Digitalisierung, zunehmende soziale Spaltung und Zuwanderung unter schwieriger gewordenen gesellschaftlichen Bedingungen, politisch beschlossene Reformen, wie Inklusion und Ganztag, sowie viele von der Verwaltung angeordneten Maßnahmen der inneren Schulreform (z.B. kompetenzbasierte Leistungsrückmeldungen KompoLei) den Schulalltag komplexer und herausfordernder gestalten. So hat insbesondere das Institut für interdisziplinäre Schulforschung in seinem letzten Gutachten von 2020 festgestellt, dass bei formaler konstanter gesetzlicher Arbeitszeit der Lehrkräfte in der Grundschule dies zu einer strukturellen Unmöglichkeit einer angemessenen Leistungserbringung in Hinblick auf die von Verordnungen definierten Aufgaben im Land Bremen führt. Weiter wird in diesem Gutachten ausgeführt, dass das Bremer Bildungssystem auf dem Weg zu einer ganztägigen und inklusiven Bildung ist. Es braucht eine bedarfsbezogene Personalentwicklung, mit angemessener Personal- ausstattung, wirksame Unterstützungssysteme, eine Abkehr von der einseitigen Betrachtung der Leistungen, sowie eine pädagogisch begründete Gestaltung und Ausstattung der Schulgebäude.

Die Grundschulen müssen Entwicklungsarbeit leisten (zum Beispiel im Bereich der Inklusion), stehen aber vor fehlenden Zeitressourcen für Lehrkräfte. Sie sehen die Bedarfe der Kinder und können nur unzureichend darauf reagieren. Diese Situation macht ohnmächtig und letztendlich unzufrieden und krank. Dies wird auch in der neuesten Statistik der Behörde deutlich, denn der Anteil der Lehrkraftfehltage aufgrund von Krankheit liegt an Grundschulen mit 3,6 % im Verhältnis zu allen anderen Schulformen besonders hoch. In diesem Zusammenhang ist auf den Fachkräftemangel zu verweisen, der sich in diesem Schuljahr noch einmal verschärft. So gibt es nach Kenntnislage des Personalrats Schulen- Bremen in der Stadtgemeinde Bremen aktuell immer noch viele Schulen, die nicht das ihnen zustehende Lehrpersonal zur Verfügung haben – und den anderen gelingt es zumeist nur unter Rückgriff auf nicht voll ausgebildetes Personal. Momentan hat etwa ein Zehntel der allgemeinbildenden Schulen mit einer Lehrkräfteversorgung von unter 90 % erhebliche Probleme, den regulären Unterrichtsbetrieb aufrechtzuerhalten. Konkret können ca. 65 Vollzeitstellen nicht besetzt werden, das entspricht ca. 80 Lehrkräften. Allerdings fehlen für eine gelingende Inklusion, vernünftige Klassengrößen und mehr individuelle Förderung nach Schätzungen des Personalrats viele hundert weitere Stellen. Zudem sind bereits heute über 300 Stellen mit nicht voll ausgebildetem Personal besetzt. Die „Schule am Osterhop“ in Hemelingen kann zum Beispiel ihre Ganztagsbetreuungszeit nur mit Aushilfskräften (Master- Studenten für die Zeit der Überbrückung bis zum Referendariat) aufrechterhalten. Aber was passiert dann versorgungstechnisch im zweiten Halbjahr 2024? Die „Tami-Oelfken-Schule“ in Lüssum-Bockhorn musste zum Schulstart wegen des Lehrermangels ihr Ganztagsangebot sogar reduzieren.

Um den Inklusionsauftrag der Bremer Bildungsbehörde zu erfüllen, bedarf es multi- professioneller Teamarbeit. Neben Grund- und Förderschullehrkräften gehören deshalb Sozial-, Förderpädagogen und -pädagoginnen sowie Assistenzkräfte für die Kinder mit Förderbedarf. Inklusion in Bremen wurde begonnen nach langen Jahren der Kürzungen im Bildungsbereich. Viele auftretende Probleme, die jetzt als Folge des Inklusionsprozesses angesehen werden, waren schon vorher vorhanden, werden aber jetzt überdeutlich. Schule kann aber nur dann gelingen, wenn auch die Grundausstattung (ausreichend Stunden für Lese-Rechtschreib-Schwäche, Dyskalkulie, Motorik, Sprachförderung für Sprachanfänger) an den Grundschulen ausreichend ist und darüber hinaus die erwähnten Voraussetzungen für die Inklusion erfüllt werden. Auf der einen Seite gibt es Grundschulen, deren Schülerschaft am Ende der Grundschulzeit fast ausschließlich in die Gymnasien wechseln und auf der anderen Seite gibt es Schulen, in denen höchstens 20 Prozent der Schüler und Schülerinnen eine gymnasiale Empfehlung erhalten. Grundsätzlich sind dies auch die Schulen mit einem überproportionalen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund und auch mit sonderpädagogischen Bedarfen. Nach Auskunft diverser Lehrkräfte an Bremer Grundschulen gibt es eine strukturelle Unterversorgung in der sonderpädagogischen Förderung an den Grundschulen. Bei der Berechnung der sonderpädagogischen Stunden wird von mindestens zwei- bis drei Schülern und Schülerinnen mit zusätzlichen sonderpädadogischen Förderbedarf pro Klasse ausgegangen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass eine Feststellungsdiagnostik aber erst am Ende der dritten Klasse stattfindet. Wenn man die Schüler und Schülerinnen der ersten drei Grundschuljahre nicht mitberechnet, verringert man dadurch die sogenannte Förderquote. Die zu bewältigenden bildungspolitischen Herausforderungen sind in diesen Stadtteilen besonders groß, wenn es uns darum gehen soll, ungleiche Bildungs- und Lebenschancen zu kompensieren.

Die Erhöhung der Unterrichtsstunden oder die Erhöhung der Klassenfrequenz (Unterrichtsdeputat) würde auf Grund der weiteren enormen Arbeitsbelastung zu einer drastischen Senkung der Motivation bei den Lehrkräften führen. Dies würde höchstwahrscheinlich zu einer höheren Krankheitsquote führen, und die Qualität des Unterrichts würde darunter leiden. Der Lehrerberuf sollte unseres Erachtens nicht weiter an Attraktivität verlieren, weil sonst weniger junge Menschen sich für ein Lehramtsstudium entscheiden werden. Der Lehrermangel würde dann nur noch größer werden.

Drei weitere Maßnahmen (Hybridunterricht und Selbstlernzeiten sowie Nachqualifikation für Mangelfächer) der SWK möchten wir noch erörtern. Die Erhöhung der Selbstlernzeiten erfordert ein anspruchsvolles Lernsetting und ist damit nicht für alle Schulformen geeignet. Selbstlernzeiten sollten nicht mit Distanzunterricht verwechselt werden. Selbstlernzeiten führen nicht automatisch zu einer Einsparung von Lehrkräftestunden, da viele Schüler und Schülerinnen die Lehrkräfte auch in diesen Phasen als Ansprechpartner benötigen. Deshalb ist diese Maßnahme nur bedingt geeignet, den Lehrkräftemangel zu reduzieren.

Der Hybridunterricht kann zum Beispiel eingesetzt, wenn in der gymnasialen Oberstufe Mindestgrößen für Leistungskurse nicht erreicht werden. Die Schüler und Schülerinnen des so nicht zustande gekommenen Leistungskurses könnten dann virtuell am Leistungskurs des Nachbargymnasiums teilnehmen. Die damit befassten Lehrkräfte würden dann in Präsenz mal an dem einen, mal an dem anderen Gymnasium unterrichten, sodass Schüler und Schülerinnen beider Schulen Erfahrungen mit Hybridlernen machen könnten. Diese Maßnahme würde sinnvoll erscheinen, allerdings gibt es bisher kaum Erfahrungswerte dazu.

Die Nachqualifizierung von aktiven Lehrkräften für Mängelfächer könnte als geeignetes Instrument der Karriereentwicklung genutzt werden, um eine Lehrbefähigung in einem Erweiterungsfach zu erlangen. Dazu bedarf es allerdings gewisser Anreize, wie z.B. eine höhere Besoldungsstufe als Motivationfaktor.

Die Lösungsansätze der SWK liegen nur auf dem Fokus der Lehrkräfte und sind somit sehr einseitig. Grundsätzlich müssten die Universitäten (z.B. Verkürzung der Studienzeiten) und die Bildungsbehörden (z.B. Reduzierung der Stoffverteilungspläne) mit einbezogen werden, um den Lehrkräftemangel effektiv zu bekämpfen.

Angesichts dieser Problematik wird es auch in diesem Schuljahr spätestens mit der ersten Krankheitswelle zu Einschränkungen des Schulbetriebs kommen. Deshalb müssen sich Eltern von Grundschülern – und Grundschülerinnen auf den Ausfall von Ganztagsangeboten gefasst machen. Insgesamt wird es also zu Einschränkungen bei der verlässlichen Grundschule kommen.

Der Unterrichtsausfall ist dabei nur die sichtbarste Folge der Mangelsituation. Vielerorts fahren Grundschulen auf Notreserve, was zulasten der pädagogisch-didaktischen Konzepte geht, die die Schulen nicht mehr erfüllen können. Die Schüler und Schülerinnen bleiben häufig auf der Strecke beim Bildungserfolg. Das zeigt sich ja auch im Land Bremen regelmäßig in Vergleichsstudien.